Folter in den Kalkalpen

Nach dem gestrigen Hochgefühl konnte es heute nur schlechter werden. Eine typische Übergangsetappe. Würde ich direkt fahren, so wären es rund 25 km bis Saint-Auban.

Aber es soll ja nicht nur die volle Hauptstraße entlang gehen, sondern ein bisschen was fürs Auge wäre doch auch nicht schlecht. Darum entschied ich mich scheinbar schon vor Monaten bei der Planung dafür, ein paar nette Schleifchen einzubauen. Das geht immer super, zu Hause am Rechner. Da wird die Geschichte schon einmal vorausgedacht. Also 3 Cols, die mehrere Täler miteinander verbanden. Talhopping!

Mein Zelt stand seit Langem mal wieder auf echtem Gras heute Nacht. Das hat den Vorteil eines gesegneten Schlafs. Der Nachteil ist, dass das Zelt morgens häufig feucht ist. So auch heute. Also ging es nass in die Tasche. Frühstück habe ich bereits gestern vorbestellt. Für 7 Euro gabs ein halbes Baguette mit Butter und Marmelade, ein Croissant, einen Kaffee und einen Saft. Um 8:15 Uhr dann der Aufbruch zum Supermarkt, wo ich mit 20 anderen auf die Öffnung um 8:30 Uhr wartete. Ich holte 3 l Wasser, abgehangene Würste, Obst. Das sollte später noch wichtig werden. Ich nehme es vorweg: es gab auf den 60 Kilometern nichts, wo ich mich versorgen konnte.

Kurz vor 9 war der offizielle Start. Die D955 ging es gemütlich nach oben zum Stausee Lac de Castillon. Hier konnte ich die Staumauer bestaunen. Wiederum war eine nette Morgenstimmung, als ich den fast kompletten See in Richtung Norden abfuhr.

Blick auf die Staumauer.

Morgenstimmung entlang des Stausees.

Bei Angles ging es auf die D33 und damit dem ersten Col des Tages entgegen. Ich verließ das Tal des Sees und steuerte das nächste nach oben. Die Straße war sehr schön und zum Teil sehr steil. Bis zu 16 % zeigte der Rox, gefolgt von immer mal wieder flacheren Abschnitten. Zurück auf der N202 war ich nach weiteren 2 Kilometern und insgesamt dann 25 km auf dem Col de Toutes Aures auf 1124 m Höhe. Ich aß einen Müsliriegel und mein Obst. Die Abfahrt war toll, weil die Straße sehr breit war und ich laufen lassen konnte. Nach 5 km Abfahrt wechselte ich auf die D10.

Diese Straße führte ins nächste Tal und hinauf zum nächsten Col. Es sollten 9 km bis zum Montblanc sein. Warum der so heißt, kann man auf dem Foto erahnen. Aber das Original kommt erst in etwa zwei Wochen. Die Straße war wenig befahren und recht eng. So eng, dass die wenigen Autos vor den Kurven hupten und, wenn kein Gegensignal kam, das Gaspedal betätigten. Einmal ging das fast schief, da das entgegenkommende Auto meine Klingel nicht hörte. Komisch! 11:30 stand ich auf dem zweiten Col des Tages. Der Col de Laval auf 1100 m. Wer jetzt denkt, tolle Leistung, nach unten auf einen Col zu rollern, der liegt falsch. Die Abfahrt vorher führte mich auf 800 m herunter. Hier ging es in Wellen bergauf. Am Ende 16 % steil.

Auf dem zweiten Col schon deutlich angeschlagen. Die Hitze tat ihr Übriges.

Montblanc.

Das ständige Auf und Ab empfinde ich als deutlich zehrender als einen 20 km langen, gleichmäßigen Anstieg. Gerade mit den prozentualen Spitzen. Jeder, der schon mal Berge gefahren ist, kennt das. Man findet einen Rhythmus und es geht schon irgendwie. Bei ständigem Wechseln des Rhythmus besteht die Gefahr, dass man es übertreibt. Außerdem sind die ersten Meter eines neuen Anstiegs immer recht schmerzhaft. Es zieht bei mir dann einmal von Waden bis oberen Rücken. Ein blöder Schmerz. Auf dem Laval gönnte ich mir drei Würste, 2 Müsliriegel und leerte 1,5 l Wasser. Die Flaschen konnte ich wieder auffüllen. Ich war hier bereits relativ angeschlagen. Aber was solls, nur noch einer lag vor mir!

Die nächste Abfahrt konnte ich wieder genießen. Es ging am Ende des Tales über die Kalkwand auf der rechten Seite. 3,8 km nur nach oben. Und 420 hm. Prima, gleich da. Aber Moment mal! Man musste kein Mathematiker sein, um zu verstehen, was jetzt passierte. Die steile Wand von Merane hinauf zum Col de Buis. Um es kurz zu machen, der Anstieg fiel nie unter 11 %, meist waren es zwischen 14 und 18 und in Rampen 21 %. Ich wusste gar nicht mehr wie das war, zuletzt gab es das in den Pyrenäen. Das Gepäck zieht ab 16 % so sehr Richtung Tal, dass ich mich nach vorne, fast auf den Lenker legen muss. Sonst scheut das Pferd und wirft mich ab. Es waren jetzt übrigens fast 40 Grad. Ich wollte jetzt sofort das Rad mitsamt Gepäck in den Graben schmeißen. Alles brannte. Der Puls schoss über. Warum mache ich diesen Scheiß nochmal. Gestern ist vergessen. Heute endlich wieder Tränen. Tränen des Schmerzes. Schreibt der CIA. Eine neue Foltermethode. Setzt jemanden hier aufs Rad. Wenn er absteigt…vergesst Waterboarding (ich kennzeichne es mal als Sarkasmus). Ich versuchte das Kopfkino an zu bekommen. Keine Chance. Alles tat weh. Nach 50 Minuten Dauerschmerz war ich auch schon oben. Träumchen.

Zeit für ein Selfie bei 21 % Steigung. So schlimm war es wohl gar nicht.

Freude bei 180 Puls.

Jetzt hieß es nur noch laufen lassen bis zum Ziel. Oder? Noch 3 km. Was soll passieren? Und da waren sie. 8 schicke Serpentinen. In den Fels gehauen. Die musste ich auch noch nach oben. Aber mit maximal 8 % waren diese zu ertragen. Und die Straße war völlig verrückt in den Fels gehauen. Zum Teil ging der Kalkstein direkt über mir. Ich kam durch ein dünnes Felstor ins letzte Tal. Nett! Geschafft! Weniger Höhenmeter als gestern, aber viel härter. Die Etappe hat auch wieder mental einiges gekostet.

Der letzte Anstieg. Direkt in den Fels geschlagen.

Jetzt sollte es zum Supermarkt gehen. Der einzige in 20 km Umkreis. Der hat aber Dienstags ab halb 1 zu. Und macht auch nicht wieder auf. Der einzige Tag der Woche. Selbst sonntags hat er bis 19 Uhr geöffnet. Ich wollte es nicht, muss aber mal wieder Pizza essen. Der Zeltplatz hat sogar einen Holzkohleofen. Und ein geniales Panorama. Mitten im Nichts, umrandet von Kalkmauern. Und einen Pool.

Morgen geht es bis kurz vor die Tore Nizzas. Bald ist es soweit. Unser Wiedersehen!

5 Kommentare

  1. Jan Mühlpfordt

    23. Juli 2019 at 16:25

    Hey Bro, wenn du irgendwann die Tour geschaft hast, kannst du ein Buch schreiben. Den Titel hätte ich schon: „Die Leiden des jungen Mühlpfordt“ 🙃

    • Ich erkenne es an, dass du mich als „jung“ bezeichnest! Für ein Buch fehlt mir das sprachliche Niveau. Aber vielleicht findet sich ein Ghostwriter, der ohne „Scheiße“, „Muckern“ oder „Hochballern“ formulieren kann. Grüße in die Hitze!

  2. Jan Mühlpfordt

    23. Juli 2019 at 17:56

    Jana mailt sich gerade mit einer Schriftstellerin, die wir in Cannes kennengelernt haben. Sie schreibt Krimis und ein signiertes Buch ist gerade unterwegs nach Lehrte.
    Jana kann dir ja den Kontakt herstellen, wenn du Hilfe beim ’sprachlichen Niveau‘ benötigst😉

  3. Hey meine „Kleinen“, keine schlechte Idee vorm 40′ sten der nächste Stephen King zu werden, wenn der Körper bei den Extremtouren nicht mehr mitmacht. Viel Spaß noch bei deinen nächsten Touren.

  4. Uwe Kampschulte

    24. Juli 2019 at 09:20

    Laaaaars, danke das du uns auf so unterhaltsamer Weise an deiner Tour und dem Leben drumrum teilhaben lässt. Ich musste oft lachen. Sie geben mir zudem einen Vorgeschmack, auf unsere gemeinsamen Tagen in den Bergen. Eventuell können wir dann bei unglaublichen Erlebnissen gemeinsam heulen. Das Bier nach der Etappe oder einfach nur so.

    ich freue mich….

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