Gestern habe ich noch einmal mein Tourenheft aufgeblättert und geschaut, was mich denn erwartet. Der Track zeigte einen dicken Klopper. Über 1700 m hoch. Ich bin wieder im hochalpinen Bereich. Geht doch!

Das einzige Problem bei meiner Recherche war, dass in meinem Heft etwas von Col de Frere stand. Über Google Maps konnte ich ihn aber nicht finden. Und auf der gesamten Etappe las ich nichts dergleichen. Ich schaue ansonsten auch gerne mal im Vorhinein auf quäldich.de, dort gibt es eigentlich von allen Pässen in Europa genaue Beschreibungen mit Höhenprofilen. Man muss ja schließlich wissen, wie weit es bis zum Gipfel ist. Bei mir setzen dann während des Kurbelns im Kopf immer Zahlenspiele ein. Ich setze mir Zwischenziele, weiß, wann es ungefähr richtig steil wird, kenne flachere Passagen, Selbstmotivation. Das mentale Vorwegnehmen der Auffahrt kann dabei helfen, leichter nach oben zu kommen. Eine Methode des mentalen Trainings. Mir hilft es. Heute war es dann halt überraschend.

Heut Nacht waren die Ohropax wieder im Einsatz. Irgendeine Party an der Bar mit ordentlich Beschallung. Das anstehende Grundgestein machte die Nacht nicht entspannter. Wie die Japaner das nur machen? Ich werde dann immer wach und merke, dass meine Hüfte schmerzt oder mein Arm eingeschlafen ist. Außerdem habe ich heute Nacht irgendwas von der Schule geträumt. Ich sollte zurückkommen, da ich vergessen habe, die Zeugnisse auszuteilen. Gehts noch?

Heut morgen war ich kurz vor 7 wach. Das Übliche folgte. Abbau, Frühstück, Espresso, Feuer frei. Halb 9 gings los. Es ging auf der D950 gemütlich 8 km bergab bis Les Rocher D’Ongles. Frisch war es. Nur 15 Grad, das Tal lag zudem im Schatten. Ich bog dann auf die D951 und von hier an ging es eigentlich immer seicht bergauf. In Saint-Étienne-les-Orges zweigte die Straße ab auf die D113. Ab hier ging die Passauffahrt los. Es gab sogar ein Schild. Es sollten 18,7 km hinauf zum Signal de Lure folgen. Häh? Noch nie gehört. Wie hoch geht es denn genau? Es stand nirgendwo. Egal. Rüber musste ich ja eh. Und die Begrüßung war vielversprechend. 13 %.

Die Straße beruhigte sich aber schnell. Es ging zwischen 6 und 8 % nach oben. Und gefühlt war ich der einzige, der heute Bock hatte. Auf dem ganzen Weg nach oben, in 2,5 Stunden Anstieg, kamen mir 2 Autos und 3 Radler entgegen, ich wurde von 5 Autos überholt und von 2 Rennradfahrern. Die Charakteristik war ähnlich wie beim Ventoux, nur eben war es fast menschenleer. Es ging lange durch einen tollen Mischwald, der mir zudem Schatten spendete. 3 km vor dem Gipfel gab es eine Cola in einem kleinen Hotel, nahe eines Skilifts. Nach 19 km und 1100 hm stand ich oben. Nur haben die hier das Passschild vergessen! Der einzige Grund hier hoch zu fahren, war doch das Foto! Oben genoss ich die Landschaft. Richtung Osten war tatsächlich noch einmal der Ventoux zu erkennen, Richtung Westen sah ich die Kracher der Hochalpen, die ja auch noch auf mich warten. Ich ließ mein Shirt in der Sonne antrocknen, legte mich auf die Wiese und lauschte dem Summen, Surren und Vogelgezwitscher. Ich muss ein halbes Stündchen weggenickt sein.

Da muss das Wanderschild wieder herhalten.

Meine Schlafwiese.

Ich machte mich fertig für die Abfahrt. 25 km pures Vergnügen sollten es werden. Nach den ersten 3 km stand ich plötzlich vor einem Passschild. Fast 300 Meter unterhalb der höchsten Stelle der Straße. Wer kommt auf so eine Idee?

Da isses! Nur eben an der falschen Stelle.

Ab hier ließ die Straße zu wünschen übrig. Zum Teil tiefe Schlaglöcher führten dazu, dass ich Angst um meine Laufräder bekam. Zudem war die Straße sehr schmal und je weiter herunter ich kam, desto weicher wurde der Asphalt. Noch weiter unten war frischer Rollsplit gestreut. Gut, dass die Bremse neu ist. Die Abfahrt war trotzdem schön, weil auf der einen Seite dramatisch die Kalkfelsen nach oben schossen. Die steilen Wände in unmittelbarer Nähe raubten einem den Atem. Versteuern wollte ich hier auch nicht, da es am anderen Straßenrand mehrere hundert Meter nach unten ging. Der letzte Ort vor der größeren D946 hieß bezeichnenderweise Valbelle. Schick!

Von ein bisschen weiter unten in der Rückschau fotografiert: die steilen Felswände.

Ich fuhr bis Sisteron zum Einkaufen und durch das Tal des Flusses Durance bis zum Campingplatz. Hier führen Gleise, die Autobahn und eine viel befahrene Straße durch.

Der Campingplatz ist teuer. Was solls, ich bin durch für heute. Ihr wisst was kommt. Ja, eine Rutsche gibt es auch. Nein, ich bin nicht gerutscht. Die Badeordnung mit dem Shortsverbot ignoriere ich mittlerweile gekonnt. Hab ich nicht gesehen. Ich bin aber so fair und dusche die gesammelten toten Tiere und die Salzkruste ab, bevor ich ins Wasser springe.

Der Campingplatz hat mal wieder nichts, wo ich kochen kann. Das ist wirklich unerfreulich und es ist die Ausnahme, wenn es einen Kochbereuch gibt. Ich brauche doch nur etwas zum Sitzen und einen Tisch. Ich werde wohl wieder auf den Spielplatz ausweichen müssen, den habe ich mir schon ausgeguckt. Es gibt Bratwürste im 6er-Pack und Couscous-Salat. Die komischen Blicke ignoriere ich gekonnt. Man muss auf so einer Tour schon manchmal über den Dingen stehen. Was andere denken ist mir aber eh relativ gleich.

Mir fällt generell auf, dass die Franzosen Regeln lieben. Sagt man uns Deutschen das nicht nach? Ich liebe Vorurteile. Es gibt hier ausgeprägte Bade-, Koch-, Dusch-, Abwasch- usw. Regeln.

Wer die Ironie erkennt, bekommt ein Bienchen.

Morgen geht es nach Les Salles-sur-Verdon. Dort habe ich ein Zimmer für 2 Nächte. Mit echtem Bett, Balkon mit Blick auf den Lac de Sainte-Croix und einer kleinen Küche. Zeit zum relaxen, rasieren, ausschlafen, Wäsche waschen und chillen.